Long Covid: Wie hilft Physiotherapie?
Das Corona-Virus SARS-CoV-2 hält Deutschland und die ganze Welt in Atem: wir leben seit 2021 in einer Pandemie. Wer sich mit diesem Virus infiziert, erkrankt an der Corona Virus Diesease CoViD und kann schwer bis lebensbedrohlich erkranken.
Die CoViD-Erkrankung kann in zwei bis drei Phasen verlaufen:
Akutphase und Post Covid
Akutphase
Die akute Erkrankung beginnt wenige Tage nach der Infektion und kann in Varianten von einer leichten Erkältung bis zur lebensbedrohlichen Beatmungspflicht auf der Intensivstation in Erscheinung treten. Das Virus greift dabei nicht nur die Atemwege bis hin zur teilweisen Zerstörung der Lunge an. Es schädigt auch die Innenwände der Blutgefäße in allen Organen des Körpers.
Bei CoViD stehen respiratorische, also auf die Atmung bezogene Probleme im Vordergrund. Dazu kommen schwerwiegende kardiovaskuläre Erkrankungen wie Lungen-Arterienembolie (LAE), Myokarditis (Entzündungen der Herzmuskeln), akutes Koronarsyndrom (ACS) und Probleme im Gehirn rund um Denken und Gedächtnis.
Post CoViD
Wer die Akutphase körperlich übersteht, kann dennoch über Wochen mit mentalen Problemen zu kämpfen haben: Die Psyche und das Denkvermögen erholen sich nur langsam. Besonders sehr schwer Erkrankte, die auf der Intensivstation behandelt werden mussten, benötigen manchmal mehrere Wochen bis zur Genesung. Diese Phase bezeichnet man als Post CoViD.
Long Covid
Für 10-15% der Genesenen ist die Leidenszeit aber dann noch lange nicht vorbei. Monate nach durchgemachter Infektion und Genesung kommt es bei ihnen zum Ausbruch neuer Symptome, die über mehrere Wochen bis zu 20 Monaten und mehr andauern und die Lebensqualität und die Arbeitsfähigkeit der Betroffenen ganz massiv einschränken können. Dieses Krankheitsbild heißt Long CoViD.
Der Verlauf und die Schwere von Long CoViD ist aber nicht mit dem Verlauf der Akuterkrankung gekoppelt: auch wer zunächst nur leicht oder symptomlos krank wurde, kann Monate später durch Long CoViD völlig aus seiner Lebensbahn geworfen werden und über lange Zeit in seiner Arbeitsfähigkeit und Lebensqualität massiv beeinträchtigt sein: in Einzelfällen weit mehr als ein Jahr.
Achterbahnfahrt des Unwohlseins
Die sehr große Vielfalt der Symptome unter Long CoViD, ihre Ursachen und ihre Behandlung sind bis heute nur ansatzweise verstanden. Bei bisher über 5 Millionen Infizierten in Deutschland geht die Zahl der Menschen, die noch lange unter Long CoViD leiden, in die Hunderttausende.
Anhaltende Müdigkeit ist bei LongCoViD eines der am häufigsten berichteten Symptome. Diese „Fatigue“ kennt man von zahlreichen anderen Erkrankungen, besonders im neurologischen Bereich. Patienten mit ausgeprägter Fatigue schaffen es morgens fast nicht aus dem Bett, schleppen sich mit großer Mühe durch den Tag und können mit sich selbst und ihrem Leben kaum noch etwas anfangen.
Massive Kurzatmigkeit schon bei leichten Anstrengungen beim Einkaufen oder beim Treppensteigen ist ein weiter Marker der geminderten Belastbarkeit. Patienten, die sich das nicht eingestehen wollen oder können und sich körperlich überanstrengen, erleben eine Katastrophe: ihren völligen Zusammenbruch und die generelle Verschlechterung aller Symptome. Dann geht ein bis zwei Tage fast gar nichts mehr und die Psyche ist nur noch ein Trümmerhaufen.
Muskelschmerzen und Haarausfall
Klassische Symptome bei Long CoViD sind:
- Gelenk- und Muskelschmerzen am gesamten Körper (CIM Critical Illness Myopathy), Brennen in der Brust
- Massiver Haarausfall, der besonders Frauen sehr belastet
- Posturales Tachykardiesyndrom (POTS), ein übermäßiger Anstieg der Herzfrequenz (Puls) im Stehen bei normalem Blutdruck
- Hypertensive Krisen, also ein plötzlicher, massiver Blutdruckanstieg mit rotem Kopf, Kopfschmerzen oder extremem Druck im Kopf, Übelkeit und Erbrechen, Sehstörungen, Nasenbluten oder starkem Zittern; im Extremfall kann das zu einem Schlaganfall führen.
- Angst- und Panikattacken, Depressionen, starke Gefühle der Hilflosigkeit und existenzieller Angst
Dazu kommen kognitiv-neurologische Beeinträchtigungen in den Bereichen:
- Konzentration
- Wortfindung
- Kurzzeitgedächtnis
- Inhaltliches Verstehen
- Koordination
- Sensibilität
Sogar demenzielle Symptome wie bei Alzheimer werden beobachtet.
Stationäre Reha hilft – meistens
Viele Patienten erhalten das Angebot auf eine vier- bis sechswöchige stationäre Rehamaßnahme: Sie sollten dieses Angebot unbedingt wahrnehmen! In fast allen Fällen erfahren die Teilnehmer einer Reha eine deutliche Verbesserung ihrer Probleme, weil sie dort interdisziplinär und intensiv betreut werden.
Zu den wichtigsten Therapiemaßnahmen in der Reha zählen:
- Atemgymnastik, Atemmuskeltraining, Atemphysiotherapie
- Sekretolyse, Inhalationstherapie der Lunge
- Ausdauer- und Krafttraining
- Psychologische Unterstützung
- Neurologisches Training
- Koordinations- und Haltungsübungen
Aber man darf keine Wunder erwarten: Das Virus hinterlässt fast immer tiefe Spuren in Körper und Seele, die nicht einfach nach wenigen Wochen verschwinden. In den meisten Fällen ist eine ambulante Weiterbehandlung sinnvoll und notwendig: beim Physiotherapeuten, beim Ergotherapeuten und/oder beim Logopäden.
Ambulante Physiotherapie für die die Rückkehr in ein Teilhabe-orientiertes Leben
Für viele Patienten verläuft das Alltagsleben nach CoViD noch lange Zeit anders, als vor ihrer Erkrankung: Es gilt der Grundsatz „weniger ist mehr“. Das Ziel dabei ist nicht primär, Symptome „los zu werden“, sondern zu lernen, mit ihnen umzugehen. Das Erlernen dieser Bewältigungsstrategien sollte möglichst unter fachlicher Anleitung eines Therapeuten erfolgen.
Die Kernstrategie in jeder Therapie nach CoViD ist das Pacing: das langsame und sehr behutsame Steigern der Anforderungen. Der Patient lernt dabei, seine Aktivitäten und Aufgaben so zu steuern, dass er sich nicht überanstrengt. Andernfalls würde sich sein Körper sofort dagegen wehren und die Müdigkeit verschlimmern.
Für den Physiotherapeuten geht es vor allem darum, die allgemeine Kondition und Leistungsfähigkeit wieder Schritt für Schritt aufzubauen. Sein oberstes Ziel dabei: niemals die Belastungsgrenzen des Patienten zu überschreiten, um einen Rückfall zu vermeiden. Dieser Grundsatz muss auch dem Patienten in Fleisch und Blut übergehen: Deshalb ist Physiotherapie auch immer Verhaltenstherapie.
Besonders Augenmerk gilt natürlich der Atmung, wenn Kurzatmigkeit immer noch ein Problem ist. Das ist in der Regel nicht nur eine Folge der geschädigten Lunge, die Zeit zum Regenerieren benötigt. Sondern mehr noch der geschwächten Atemmuskulatur und einer nicht angemessenen Atemtechnik beim Patienten. Das Erlernen der optimalen Atemtechnik und das Dehnen und Kräftigen der gesamten Brust- und Atemmuskulatur ist das Ziel der Atemtherapie („pulmonale Rehabilititation“) bei Long CoViD.
Der Hausarzt kann beliebig lange verordnen!
Wichtig für den Patienten: Bei der Verordnung von Heilmitteln im Zusammenhang mit Post-Covid / Long- Covid belastet der Hausarzt nicht sein Budget, muss also keine Probleme bei einer Wirtschaftlichkeitsprüfung befürchten. Dazu muss bei der Verordnung die Diagnose „U09.9 Post-CoViD-19- Zustand, nicht näher bezeichnet“ kodiert werden.
Zudem darf bei diesen Verordnungen von der Höchstmenge pro Rezept abgewichen werden. Neben der Physiotherapie kann auch eine ergotherapeutische Behandlung sinnvoll sein. Patienten mit Fatigue müssen lernen, mit ihren persönlichen Ressourcen umzugehen (Coping). Sie sollen sich nicht überfordern, aber auch nicht aus falscher Schonung Aktivitäten meiden.
Von Gastautor Roland Dreyer
(Fachjournalist für Medizin)